Stadien bieten als „Kathedralen des Fußballs“ vielfältige Kommunikationsräume. Allerdings gilt bei internationalen Spitzenverbänden wie der FIFA, dem IOC und der UEFA der Grundsatz der Neutralität, nach dem politische Botschaften in Sportstätten nicht gestattet sind. Auch der Deutsche Fußballbund (DFB) folgt dieser Richtschnur. Dennoch ist der Sport zu allen Zeiten politisiert – insbesondere mit Blick auf den Kalten Krieg zwischen Ost und West nach 1945, globale Krisenherde oder die Konkurrenz der beiden deutschen Staaten.
Auch die Zuschauer und Fans tragen gesellschaftliche Probleme und politischen Protest in die Stadionkurven. Fangesänge, symbolische Handlungen oder Transparente dienen nicht nur der sportlichen Unterstützung, sondern häufig auch der politischen Demonstration. Gerade internationale Fußballspiele mit großer medialer Öffentlichkeit bieten eine große öffentliche und mediale Bühne, um auf das Schicksal von Geflüchteten, Oppositionellen und politisch Verfolgten aufmerksam zu machen.
In der Bundesrepublik und in der DDR ist es besonders die Teilung des Landes, die den Menschen unter den Nägeln brennt. Westdeutsche Fangruppen demonstrieren gesamt-deutsche Verbundenheit, wenn es gegen Mannschaften aus der DDR geht oder wenn in der geteilten Stadt Berlin gekickt wird. So tauchen beispielsweise bei Fußballspielen im West-Berliner Olympiastadion immer wieder Transparente auf, die durch Sympathie- und Solidaritätsbekundungen die Zusammengehörigkeit der Deutschen bekräftigen. Diese Grüße von bundesdeutscher Seite sind dem SED-Staat ebenso ein Dorn im Auge wie die Bundesligabegeisterung der DDR-Fans. Denn die Fankultur in Ost und West beweist, dass gerade junge Leute in beiden deutschen Staaten ein Bewusstsein für den anderen Teil Deutschlands haben: Fußballfreundschaft statt Klassenkampf!
Endspiel um die Deutsche Meisterschaft 1953 im Berliner Olympiastadion: Ganze Blöcke sind verwaist. Die Ost-Berliner Zuschauer, denen ein Kartenkontingent in DDR-Mark zur Verfügung steht, fehlen. Nach dem Volksaufstand vom 17. Juni 1953 ist West-Berlin durch die DDR abgeriegelt worden. (2)
Demonstration der Zusammengehörigkeit: Anhänger des 1. FC Kaiserlautern bekräftigen während des Endspiels um die Deutsche Meisterschaft gegen Preußen Münster im Berliner Olympiastadion 1951 ihre Verbundenheit mit West-Berlin. Die Stadt befindet sich durch ihre
Insellage inmitten der DDR in einer prekären Lage. (4)
Düsseldorfer Fortuna-Fans demonstrieren per Grußbotschaft beim Gastauftritt ihres Teams im UEFA-Pokal im Dezember 1973 in den Straßen Leipzigs deutsch-deutsche Verbundenheit. (5)
Obwohl Helmstedt und Magdeburg nur etwa 50km entfernt voneinander liegen, trennen die beiden Städte in der Phase der deutschen Teilung Welten. Der FC Bayern ist im November 1974 zum Achtelfinalrückspiel beim 1. FC Magdeburg zu Gast. Die beiden Fans des FC Bayern aus Helmstedt zeigen im Magdeburger Stadtzentrum demonstrativ ihr Transparent. (6)
Heimliche Aufnahme von einem MfS-Fotografen, der das Präsentieren eines Transparents von Fans des FC Bayern aus Kulmbach im Stadtzentrum von Dresden dokumentiert. Dresden, Europapokal der Landesmeister 1973: Dynamo Dresden – FC Bayern München. (7)
Anhänger des FC Bayern München aus Hessen grüßen Magdeburg. Stadtzentrum Magdeburg im Vorfeld der Europapokalbegegnung des FC Bayern gegen den 1. FC Magdeburg 1974. (8)
Das verdeckte und unscharfe Stasifotos zeigt, dass das MfS mit geheimpolizeilichen Methoden die westdeutschen Grußbotschaften der Fans des FC Bayern an die Dresdner sichert. Dresdner Innenstadt, Europapokal der Landesmeister zwischen Dynamo Dresden und dem FC Bayern München 1973. (9)
Schlachtenbummler des Karlsruher SC demonstrieren auf der Aschenbahn des Berliner Olympiastadions 1956 ihre Verbundenheit mit West-Berlin. Die Teilstadt wehrt sich in der Phase des Kalten Krieges gegen die Isolierungspolitik der DDR. West-Berlin betrachtet sich als einen Bestandteil der Bundesrepublik, die DDR bestreitet dies mit Verweis auf die Sonderrechte der alliierten Besatzungsmächte. West-Berlin, Endspiel um die Deutsche Meisterschaft 1956: Karlsruher SC – Borussia Dortmund. (10)
Kulmbacher Fans des FC Bayern München demonstrieren im Vorfeld des Achtelfinalrückspiels im Europapokal der Landesmeister gegen den 1. FC Magdeburg 1974 deutsch-deutsche Gemeinsamkeit mit einem Gruß an die Stadt Magdeburg. (11)
Schauplatz Junioren-Fußball-WM 1987 in Chile: Chilenische Fans unterstützen die DDR-Elf beim Spiel gegen Schottland in Valparaiso. Die Gruppe der chilenischen DDR-Anhänger zeigt mit der Aktion ihre Dankbarkeit für die Aufnahme von Exilanten nach dem Militärputsch 1973. Das in Deutsch geschriebene Transparent wird kurze Zeit später von Geheimdienstmitarbeitern entfernt. (12, 13)
Am 8. September 1968 zündet sich Ryszard Siwiec auf den Rängen des Warschauer „Stadions des 10. Jahrestages“ selbst an, wenige Tage später stirbt der polnische Buchhalter an seinen schweren Verletzungen. Er will mit der dramatischen Aktion während eines Erntedankfestes gegen die kommunistische Herrschaft protestieren. Unmittelbarer Anlass ist die Niederschlagung des „Prager Frühlings“ durch Truppen der Warschauer-Pakt-Staaten, darunter polnische Armeeeinheiten. Im für die EM 2012 neu erbauten Stadion Narodowy erinnert heute eine Gedenkplakette an ihn. (14)
Dariusz Wojtaszyn, Professor am Lehrstuhl für Zeitgeschichte des Willy-Brandt-Zentrums für Deutschland- und Europastudien an der Universität Wroclaw/Breslau, erläutert die Umstände der Selbstverbrennung von Ryszard Siwiec am 10. September 1968 im Warschauer „Stadions des 10. Jahrestages“. (15)
Protest gegen die Militärdiktatur in Argentinien: Die Fußball-WM 1978 wird trotz internationaler Proteste in Argentinien ausgetragen, wo seit 1976 eine Militärdiktatur mit Folter und Mord gegen Oppositionelle vorgeht. In Paris rufen Demonstranten im Frühjahr 1978 zum Boykott der Fußball-WM auf. (18)
Demonstration für Solidarność: Bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1982 in Spanien treffen Polen und die Sowjetunion in der Zwischenrunde aufeinander. In Polen herrscht seit 1980 Kriegsrecht, die sowjetischen Panzer stehen an den Grenzen Ostpolens, es droht eine Invasion. Die freie Gewerkschaft Solidarność organisiert Streiks, die auf Weisung der Sowjetunion militärisch „befriedet“ werden sollen, um ein Ausbrechen der Volksrepublik Polen aus dem kommunistischen Lager zu verhindern. Exil-Polen zeigen im Stadion in Barcelona demonstrativ ein riesiges Solidarnośćbanner. Das Fernsehen überträgt die Bilder in alle Welt. (19)
Prof. Dariusz Wojtaszyn/Willy-Brandt-Zentrum der Universität Wroclaw/Breslau zu den Hintergründen der Fan-Demonstration mit dem Solidarność-Banner beim WM-Spiel zwischen Polen und der Sowjetunion 1982. (20)
Der Filmemacher Diethard Küster gehört während seiner Studentenzeit dem Chile-Komitee der Freien Universität Berlin an. Er erzählt über Solidaritätsbekundungen und die Aktionen des Chile-Komitees während der Fußball-WM 1974 im Berliner Olympiastadion. (21)
Camilo Pereda ist vier Jahre alt, als seine Mutter 1973 mit ihm und seinen Brüdern aus Santiago de Chile flüchtet. Die Familie wird 1974 von der DDR aufgenommen und lebt fortan in Ost-Berlin, wo Camilo zur Schule geht und aufwächst. Im Jahr 1985 darf die Familie nach Chile, wo noch immer die Militärdiktatur herrscht, zurückkehren. Camilo Pereda erzählt über die Aktion der aus der DDR zurückgekehrten Exilchilenen während der Junioren-WM im Fußball 1987. (22)
1: Camcop media, Andreas Klug
2: Klaus Westenich
3: Pressebilderdienst Horst Müller GmbH
4: Archiv Berliner Fußball-Verband, Fotograf unbekannt
5: Archiv Fortuna Düsseldorf, Fotograf unbekannt
6: Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei M24 Nr. 584 Foto 72
7: Bundesarchiv, MfS BV Ddn Abt. VIII Nr. 12535 Bild 354
8: Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei M24 Nr. 584 Foto 70
9: Bundesarchiv, MfS BV Ddn Abt. VIII Nr. 12535 Bild 422
10: Archiv Karlsruher SC
11: Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei M24 Nr. 584 Foto 68
12/13: Alvaro Camu
14: LESZEK LOZYNSKI, REPORTER, 020703160
15: Universität Wroclaw/Breslau (Audio)
16/17: IMAGO, Ferdi Hartung und IMAGO, WEREK
18: Dom Slike, Alamy Stock Photo
19: IMAGO, WEREK
20: Universität Wroclaw/Breslau (Audio)
21: Zeitzeugen-TV, www.grimmchronik.de (Video)
22: Zeitzeugen-TV, www.grimmchronik.de (Video)