An den Spieltagen sind die Sicherheitskräfte bei den „Hochsicherheitsspielen“ im Großeinsatz. Bahnhöfe und Züge sind im Visier, zudem werden weiträumige Kontroll- und Observationspunkte um das Stadion gelegt, ganze Stadträume observiert. Nicht allein die Wege zum Stadion, auch beliebte touristische Treffpunkte sind in das Überwachungsnetz miteinbezogen. Fußballfans und Stadionbesucher werden auf Schritt und Tritt begleitet.
Nach den Vorstellungen des DDR-Fußball-Verbandes soll das Verhalten der Zuschauer der sozialistischen Gesellschaftsordnung entsprechen. Das Blasen auf Signalhörnern, das Tragen westlicher Fanutensilien, das Zeigen kritischer Transparente oder das Intonieren von Fan-Chorälen, die Staat, Partei und Sicherheitsorgane „herabwürdigen“, gehören nicht dazu. Die gesamte westliche Fankultur, die Fußballanhänger aus den Fernsehübertragungen der Bundesliga kennen, wird als unerwünscht kompromisslos bekämpft.
Die Palette der Bezeichnungen für Fans, die fankulturelle Praktiken des Westens „verherrlichen“, ist lang: Krakeeler, Fanatiker oder Störer. Sie müssen befürchten, als „negativ-dekadent“ gebrandmarkt, aus der Masse herausgefiltert und strafrechtlich verfolgt zu werden. Hierzu gehört auch eine erkennungsdienstliche Erfassung mit fotografischer Dokumentation.
Kontrollpunkt Bahnhof Nahverkehr: Am Bahnhof Friedrichstraße in Ost-Berlin steigen die gegnerischen Fangruppen aus. Die Volkspolizei nummeriert ihre Foto-Dokumentation 1978. Die Fotos-Nr. 6-8 zeigen ankommende Fans des 1. FC Union Berlin am Bahnhof, die von dort den gemeinsamen Fußmarsch zum Stadion der Weltjugend antreten. (3)
Kontrollpunkt Wegstrecke zum Stadion: Die Fangruppen des 1. FC Union Berlin gehen 1978 den ca. 2 Kilometer langen Weg vom S-Bahnhof Friedrichstraße zum Stadion der Weltjugend. (4)
Kontrollpunkt Stadionumfeld: Jugendliche Fans des BFC Dynamo versammeln sich vor Spielbeginn des Europapokal-Duells zwischen dem BFC und dem Hamburger SV 1982 in der Nähe des Ost-Berliner Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportparks. Die MfS-Aufnahme zeigt, dass die Stasi Interesse an ihrem Transparent hat. (5)
Kontrollpunkt Wegstrecke vom Stadion: Aus einem Fenster eines Wohnhauses fotografiert das MfS den Rückweg vom Stadion der Weltjugend in der Ost-Berliner Chausseestraße. Die Überwachung dieser Teilstrecke ist besonders kritisch, da die Zuschauer und Fans die „Ständige Vertretung“ der Bundesrepublik passieren. Symbolische Handlungen und staatskritisches Verhalten der Fußballschlachtenbummler soll möglichst unterbunden werden. (6)
Kontrollpunkt Stadtzentrum nach Spielschluss: Ausgelassen feiern Fans des 1. FC Lok Leipzig den Pokalsieg am 1. Mai 1976 am Ost-Berliner Alexanderplatz. Die Foto-Dokumentationen werden nach Auswertung intern weitergegeben und für die Beobachtung der Leipziger Fans bei künftigen Spielen verwendet. Die Überwachungsmaschinerie läuft auf Hochtouren. (13)
Ein Fund mit Seltenheitswert: Die Fans zeigen in den Nahaufnahmen durch ihre das Gesicht schützenden Gesten, dass sie nicht fotografiert werden möchten. Seit Mitte der 1980er Jahre hat es sich unter den Fußballanhängern herumgesprochen, dass Fotos von Fußballfans zur „Aufklärung“ genutzt werden. Ost-Berlin, Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark: BFC Dynamo – 1. FC Magdeburg 1983 und unbekanntes Spiel Mitte der 1980er Jahre. (14, 15)
Das Foto ist eine im Sprachgebrauch der Volkspolizei so genannte Übersichtsaufnahme von Zuschauerrängen. Sie hält die Zuschauer der verschiedenen Fanblöcke sowie das Polizeiaufgebot fest. Ost-Berlin, Stadion der Weltjugend: 1. FC Union Berlin – BFC Dynamo, ca. Mitte der 1980er Jahre. (16)
Unerwünschte Transparente: Beim Gastspiel des FC Carl Zeiss Jena gegen den BFC Dynamo im Ost-Berliner Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark Mitte der 1980er Jahre präsentieren Jenaer Fans ein selbstgefertigtes Transparent mit der Aufschrift „John 3:16“. Gegen diesen Verweis auf eine zentrale Botschaft des Johannesevangeliums geht das MfS vor und versucht, die Urheber zu erfassen. (17)
„Negatives Verhalten“ von Fans: Drei Anhänger von Chemie Leipzig probieren sich 1975 als Stimmungsmacher für den nach Eisleben angereisten Chemie-Fanblock. Die Volkspolizei deutet dies als ein „Aufputschen“ der Fanmassen. Das Foto wird handschriftlich mit drei Ziffern versehen, womit eine Personenkontrolle, also die Erfassung der Personen wie nach einer Straftat, eingeleitet wird. (20)
Zwei leidenschaftliche Fans von Chemie Leipzig, die mit Glocken Stimmung machen, werden 1975 per Foto von der Polizei erfasst. Die Fangesänge der beiden gegen die Dynamo-Elf aus Eisleben wird als „Herabwürdigung“ der „Schutz- und Sicherheitsorgane“ gewertet. Einer der beiden setzt sich gegen die Aufnahmen zur Wehr, was die Originalbeschriftung durch die Volkspolizei dokumentiert: „Wollte den Film des Fotografen aus dem Fotoapparat entnehmen und in die BRD schicken.“ (21)
Kollektive Freude: Die Fans des 1. FC Union Berlin feiern ein Tor ihres Vereins beim Oberligapunktspiel gegen Energie Cottbus im Stadion der Freundschaft im April 1987. (23)
Zwei im Gesicht bemalte Fans des 1. FC Union Berlin (zentral) fallen dem MfS-Fotografen beim Oberliga-Punktspiel zwischen Energie Cottbus und dem 1. FC Union im April 1987 auf. Die Volkspolizei zeigt im Unionfanblock Präsenz. (24)
In der Halbzeitpause machen Anhänger des 1. FC Magdeburg mit Blasinstrumenten Stimmung für ihren Verein. Ost-Berlin, Stadion An der Alten Försterei: 1. FC Union Berlin – 1. FC Magdeburg, 1977. (25)
Im Fanblock des Halleschen FC Chemie (HFC) hält ein Fan einen Schal des österreichischen Spitzenteams Rapid Wien Mitte der 1980er Jahre in die Höhe. (26)
Nach dem Spiel laufen Anhänger des 1. FC Union Berlin eine „Ehrenrunde“. Die Volkspolizei dokumentiert das „negative“ Fanverhalten. Ost-Berlin, Stadion An der Alten Försterei: 1. FC Union – 1. FC Magdeburg 1977. (27)
Die Fans des 1. FC Union Berlin drücken Rivalität und Abneigung gegen den BFC Dynamo mit drastischen Worten aus: „Tod und Haß dem BFC“ fordern Sprechchöre und Banner. Das MfS kommentiert das Transparent als „fanatische Bekundung der Union-Anhänger“. Ost-Berlin, Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark, Ende der 1970er Jahre. (28)
1: Landesarchiv Berlin, DVP BV Berlin, C Rep. 303 Nr. 3082
2: Landesarchiv Berlin, DVP BV Berlin, C Rep. 303 Nr. 1640
3: Landesarchiv Berlin, DVP BV Berlin, C Rep. 303 Nr. 1580
4: Landesarchiv Berlin, DVP BV Berlin, C Rep. 303 Nr. 1640
5: Bundesarchiv, MfS HA XX Nr. 1577
6: Bundesarchiv, MfS HA II Fo 129 Bild 3
7: Landesarchiv Berlin, DVP BV Berlin, C Rep. 303 Nr. 3080
8: Landesarchiv Berlin, DVP BV Berlin, C Rep. 303 Nr. 3080
9: Landesarchiv Berlin, DVP BV Berlin, C Rep. 303 Nr. 3080
10: Landesarchiv Berlin, DVP BV Berlin, C Rep. 303 Nr. 3080
11: Landesarchiv Berlin, DVP BV Berlin, C Rep. 303 Nr. 3080
12: Landesarchiv Berlin, DVP BV Berlin, C Rep. 303 Nr. 3080
13: Landesarchiv Berlin, DVP BV Berlin, C Rep. 303 Nr. 3082
14/15: Bundesarchiv, MfS BV Bln Fo 356 Bild 2, Bundesarchiv, MfS BV Bln Fo 352 Bild 2
16: Bundesarchiv, MfS HA XX Fo 1034 Bild 74
17: Bundesarchiv, MfS HA XXII Fo 222 Bild 17
18 Landesarchiv Berlin, DVP BV Berlin, C Rep. 303 Nr. 1640
19: Landesarchiv Berlin, DVP BV Berlin, C Rep. 303 Nr. 1640
20: Sächsisches Staatsarchiv Leipzig, 20250 Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei, Nr. 2515
21: Sächsisches Staatsarchiv Leipzig, 20250 Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei, Nr. 2515
22: Landesarchiv Berlin, DVP BV Berlin, C Rep. 303 Nr. 3080
23: Bundesarchiv, MfS BV Bln Fo 907 Bild 24
24: Bundesarchiv, MfS BV Bln Fo 907 Bild 23
25: Landesarchiv Berlin, DVP BV Berlin, C Rep. 303 Nr. 3080
26: Bundesarchiv, MfS BV Hle Abt. XX Fo 38 Bild 39
27: Landesarchiv Berlin, DVP BV Berlin, C Rep. 303 Nr. 3080
28: Bundesarchiv, MfS BV Bln Fo 63 Bild 8
29: Bundesarchiv, MfS BV Lpz KD Lpz-Stadt, Fo 5711 Bild 66
30: Bundesarchiv, MfS HA XX Fo 705 Bild 2
31: Bundesarchiv, MfS HA XX Fo 1034 Bild 197